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Zusammenfassung des Interviews

 

Die Morde an den Richtern Falcone und Borsellino haben die sizilianische Zivilgesellschaft aufgerüttelt und in Folge sind viele Antimafia-Initiativen und -Vereine entstanden. So auch der Verein „Libera“, der ‘95 gegründet wurde. Das Ziel Liberas ist es, alle diese Initiativen miteinander zu vernetzen, zu unterstützen und unter dem Schlagwort der „Legalità“ als Gegenbewegung zu den Aktivitäten der Cosa Nostra zu etablieren.

 

(„Legalità“ bedeutet wörtlich „Gesetzlichkeit“ und steht im Antimafiakontext in Italien für ein Handeln, das sich im Rahmen geschriebener und ungeschriebener, zwischen- menschlicher Gesetze bewegt und sich nicht durch Gewaltandrohung oder Bestechung Vorteile zu verschaffen sucht. Gebrauch und Interpretation dieses zentralen Begriffs der Antimafia-Bewegung sind so komplex und divers, dass ihm im Film eine Paranthese gewidmet ist.)

 

Die erste Handlung Liberas war, einen Gesetzesentwurf vorzuschlagen, der das Gesetz von Pio La Torre von ‘82 erweitert. Das Gesetz Rognoni - La Torre macht zum ersten Mal die Zugehörigkeit zur Mafia strafbar und die Konfiszierung der Güter eines verurteilten Mafioso möglich. Libera hat in einer Umfrage 1 Mio. Stimmen für ihren Gesetzesvorschlag gesammelt, der dann als Gesetz Nummer 109/96 festgeschrieben wurde. Das Gesetz 109/96 ist die Grundlage für alle Antimafia-Kooperativen. Es ermöglicht die Rückgabe der konfiszierten Güter an die Gemeinschaft, indem es sie für soziale Projekte zur Verfügung stellt. Die Projekte werden nicht Eigentümer, aber sie pachten das Land oder die Immobilie für einen bestimmten Zeitraum, ohne Pacht zu zahlen. Eigentümer bleibt immer der Staat. Die Vergabe der Güter wird über öffentliche Ausschreibungen organisiert. Auf Sizilien befinden sich die Hälfte aller von der Mafia konfiszierten Güter, wiederum die Hälfte davon sind in Palermo.

 

2001 hat Libera den ersten Wettbewerb ausgeschrieben, um die landwirtschaftliche Kooperative „Placido Rizzottto“ zu gründen. Es wurden 15 Mitglieder gesucht. Beworben haben sich 100 Leute, was 2001 ein unglaublicher Erfolg war. 2006 haben sie einen weiteren Wettbewerb ausgeschrieben, um die Koop „Pio La Torre“ mit ebenfalls 15 Mitgliedern zu gründen. Bei diesem Wettbewerb haben sich 300 Leute beworben. Am Anfang war das größte Problem von Placido Rizzotto, dass sie zu fünfzehnt nicht genug waren, um die 100 Hektar Land zu bearbeiten und dass sie keine Landarbeiter gefunden haben. Das Land um San Giuseppe Jato herum hatte vorher dem berüchtigten Mafioso Giovanni Brusca gehört, der dort „capo di mandamento“ war. Um Leute zu finden, haben sie dann eine Ausschreibung gemacht, in der sie erklären, warum es etwas Besonderes ist, für die Kooperative zu arbeiten. Alle angestellten ArbeiterInnen bekommen einen regulären Arbeitsvertrag, der auch eingehalten wird und es werden Versicherungen und Rente gezahlt. Daraufhin haben die Leute Schlange gestanden, um bei Placido Rizzotto anzufangen. Vorher war die Mafia der einzige Arbeitgeber. Die Mafia nutzte ihr Monopol, um die Löhne so weit wie möglich zu drücken. Das Arbeitsverhältnis war nicht vertraglich geregelt, sondern bestand in einem quasi feudalen Abhängigkeitsverhältnis, das über Gewalt aufrechterhalten wurde.

 

Die Aufgabenfelder von Libera sind die Verbreitung und Stützung des Gedankens der „Legalità“ und des Umweltschutzes, indem sie z.B. in Schulen Informationsveranstaltungen organisieren. Außerdem kümmern sie sich um die Ausschreibung und Umverteilung der konfiszierten Güter auf Sizilien. Die Nutzung des konfiszierten Landes ist verbunden mit der Bedingung, weder die Menschen, die es bearbeiten, noch die Erde selbst auszubeuten. Deswegen betreiben die Kooperativen biologische Landwirtschaft nach den Grundsätzen sozialer Unternehmen.

 

Auf die Frage, ob Antimafiaarbeit nicht auch bedeutet, antikapitalistisch zu denken (und zu handeln), mit dem Hinweis auf den Buchtitel von Pino Arlacchi „La mafia imprenditrice. L'etica mafiosa e lo spirito del capitalismo“ (Die unternehmerische Mafia. Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus), reagiert Umberto eher abwehrend. Er möchte das nicht verwechselt sehen, nicht jeder Kapitalist sei ein Mafioso.

2007 hat es zum Thema Mafia - Unternehmertum eine bedeutende Veränderung gegeben. „Confindustria“ (die ital. Vereinigung der Industrieellen) hat bekannt gegeben, dass sie jeden, der den „Pizzo“ zahlt, aus der Vereinigung herausschmeißen werden. Das ist revolutionär. 1991 wurde der Unternehmer Libero Grassi, der sich öffentlich geweigert hat, den Pizzo zu zahlen, von Confindustria nicht unterstützt und in Folge von der Mafia ermordet. Erst jetzt hat sich der Präsident des Unternehmerverbandes dafür öffentlich entschuldig.

Zur Zeit werden die Produkte von Libera Terra mehr nachgefragt, als sie anbieten können, allerdings nur in Norditalien. In Sizilien ist die Nachfrage gering. Der Plan ist, ein Konsortium zu bilden, um die Produkte gemeinsam zu vermarkten. Was die Entscheidungsfindung innerhalb der Koops und untereinander betrifft, versuchen sie möglichst einen Konsens zu erreichen. Das Konsensprinzip ist wichtig, um Einigkeit zu erzeugen und zu erhalten. Gegen den Druck von außen als Kooperative zu bestehen, ist sehr schwer. Die Koops dürfen keine Fehler machen, so wie andere Unternehmen; der Blick von außen ist viel kritischer und sie empfinden eine hohe gesellschaftliche Verantwortung. Für die „Soci“ (Mitglieder) ist die Situation nicht immer leicht. Sie müssen sich gegen die Kritik der anderen Bauern und die fehlende Unterstützung der SizilianerInnen behaupten. Umberto schöpft die Motivation für sein Engagement in der Antimafiabewegung aus der Erinnerung an die Toten. Sie sollen nicht umsonst gestorben sein. Um sich zu erklären, erzählt er uns Folgendes: Falcone hat einmal zu Borsellino gesagt, dass er das Gefühl habe, dass sizilianische Volk feuere sie an. (Wörtlich sagte er: „fare il tifo“ – was eigentlich die Fans beim Fußball tun) Er, Umberto empfindet auch so. Um die Soci der Kooperativen, aber auch sich selbst zu motivieren weiterzumachen, beschreibt er ihre Situation als ein Spiel. „Wir müssen auf das Spielfeld hinaus und spielen, egal ob wir gewinnen oder verlieren. Gewinnen ist natürlich besser, aber das, worauf es ankommt, ist zu spielen. Das ist kein Krieg, sondern ein Spiel. Man kann gewinnen oder verlieren.“

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Antimafia-Kooperativen, Sizilien

Umberto di Maggio, LIBERA, Palermo