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Abends, die Eingangstür zum Bahnhof von Penza: Menschen in schweren Mänteln kommen und gehen durch die gläsernen Schwingtüren der Bahnhofshalle. Gegen das Licht vom Bahnhofsinneren sind nur ihre Silhouetten sichtbar. Betriebsame und gleichzeitig seltsam entrückte Bahnhofsstimmung.

Wenn ich an Penza denke, sehe ich Menschen in Mänteln und Pelzmützen vor mir, die über vereiste Fußpfade schlittern.

Erst gab es Schnee, dann Tauwetter, dann wieder Frost.

Die Wege sind glitzernde Flüsse.

 

Abends, im Zug: Kaleria, Valentina und Ina essen Abendbrot, hinter dem Fenster blaue Nacht, drinnen wohlig warm, es läuft leise  Radiomusik

Die Fußgänger passen ihren Gang an die Verhältnisse auf den vereisten Wegen an. Man hebt die Füße gar nicht, oder nur sehr wenig, tastet sich mit viel Gefühl in den Fußsohlen vorwärts. Am sichersten aber geht man neben dem Weg, wo man auf den verharschten Schnee treten kann.

 

Abends, Blick aus dem Fenster: Dickicht, Schneegestöber

Eben das hätte ich noch filmen wollen, wie die Menschen sich über die glitzernden Eiswege bewegen. Wie das ihre Bewegungen verändert, weil sie nicht fest auftreten können. Die ganze Stadt in diesem schlitternden tastenden Rhythmus. Daran habe ich dann auf dem Rückweg unentwegt gedacht, an die Bilder von schwarzen Stiefeln, die über vor Licht gleißende Wege rutschen. Erst als ich im Zug sitze und auf die endlosen verschneiten Landschaften gucke, wird mir bewußt, dass so der Winter in Penza aussieht.

 

Schwarzfilm

Diese nichtgemachten Bilder habe ich vor Augen, wenn ich mich erinnere. Was ich aufgenommen habe, ist gleichsam abgelegt und damit vergessen. Die Bilder, die ich nicht gemacht habe, sind leuchtender und kraftvoller als alles, was ich jemals hätte machen können. Ich habe angefangen, eine Liste anzulegen, von den

nicht gemachten Bildern, und warum ich sie nicht gemacht habe

und wie sie in meiner Erinnerung sind, um nicht ständig an sie

denken zu müssen.

Der Bug z.B., das ist für mich immer ein besonderer Moment, wenn ich den Bug überquere . Auch dieses Mal hatte ich wieder die Kamera bereit und wartete gespannt auf den richtigen Moment. Die Wiesen an den Ufern des Bug sind überschwemmt. Trockenes Schilf zwischen dem graublau das Wasser glitzert. Ich fange an zu drehen : die Wiese, die Weiden, die Brücke beginnt. Wir sind noch nicht ganz auf der Mitte des Flusses als ich höre, wie die Kamera langsamer wird. Bevor wir das andere Ufer erreicht haben, kommt sie mit einem lauten Klack zum Stillstand. Und dann fahren wir ganz langsam an einem hellblau gestrichenen, luftigen Pavillon vorbei, der in Augenhöhe an mir vorbeischwebt und darin liegt ein Grenzbeamter und schläft.

 

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